15.09. Tag sechs, Geldlos in Riva

Hier geht’s zum Anfang des Tramper-Berichtes. Um sieben Uhr wurde ich von den ersten Sonnenstrahlen wach. Ich schaute nach oben, zwischen den Blättern des Weins hindurch, direkt in die Unendlichkeit des wolkenlosen Himmels. Die Hunde waren auch schon wach. Einige Autos fuhren an der nahen Straße entlang. Ich stand auf und packte meinen Rucksack. Dann machte ich mich auf den Weg zum Ufer des Gardasees. Dort wollte ich warten, bis das Geld auf meinem Konto war. Üblicherweise bekomme ich nämlich am 15. des Monats eine Vergütung von meinem Arbeitgeber überwiesen. Im Osten strahlte der Gipfel des Monte Baldo in der Morgensonne. Auf den Bürgersteigen stöberten rudelweise Kinder ihrer Schule entgegen. Man beehrte mich mit abfälligen Blicken. So eine Übernachtung im Freien ohne morgendliche Waschmöglichkeiten hinterlässt ja auch ihre Spuren.

Inhaltsverzeichnis

Ein Wanderrucksack liegt halb ausgepackt auf einem Plateau über dem Gardasee. Daneben ein Campingkocher, mehrere Wasserflaschen und ein Notizbuch.
Mein Schlafplatz auf dem Plateau über`m Lago di Garda

Auf dem Weg zur Uferpromenade sah ich einen Geldautomaten, ich würde ihn gegen neun Uhr, also in zwei Stunden wieder aufsuchen. Ich setzte mich an das Ufer des Gardasees und schaute den einheimischen Anglern zu. Die anderen Touristen schliefen noch. Um neun Uhr ging ich zum Geldautomaten, musste aber feststellen, dass noch kein Geld da war. Zunächst dachte ich noch, die Überweisung würde später erfolgen und fragte halbstündlich meinen Kontostand ab. Ansonsten saß ich auf einer Steinbank der Promenade und sah den Touristen beim Geldausgeben zu. Gegen Mittag duftete es überall nach Pizza und mir fiel auf, dass ich seit dem gestrigen Abend nichts gegessen hatte. Ich merkte, wie mein, von regelmäßigen Mahlzeiten verwöhnter Körper anfing, schwach zu werden. Es war immer noch kein Geld da. Irgendwann um eins oder halb zwei setzte ich mich auf eine Bank in einem Park, der näher am Geldautomaten lag. Dort schlief ich, den rechten Arm durch den Schultergurt des Rucksacks gezogen, nach kurzer Zeit ein. Ich träumte von einer riesigen, leckeren Pizza. Meine Laune verschlechterte sich zusehends. Ich war auf etwas Geld angewiesen, weil ich weder eine Wanderkarte, noch Treibstoff für meinen Benzinkocher hatte. Neben all dem Hunger ging auch der Tabak zur Neige und mit ihm auch die letzte Möglichkeit, die vorherrschenden Bedürfnisse zu befriedigen. Ich verstand auf einmal, warum Obdachlose oft in der Stadt bleiben. Die Nähe zu anderen Menschen gibt ein Letztes bisschen Sicherheit. Ich wollte noch nicht um Essen betteln. Dies wäre die letzte Option gewesen. Doch dafür war meine „Not“ einfach nicht groß genug. Durch das ständige Aufsuchen des Geldautomaten konnte ich auch nicht aus der Stadt, um mir Nudeln zu kochen. Ich durchwühlte meine Taschen und fand im Rucksack noch drei Euro. In einem kleinen Supermarkt bekam ich für das Geld nur billigstes Weißbrot und günstigsten Schokoladen Aufstrich. Lieber hätte ich Käse gekauft, konnte mir es jedoch nicht leisten. Nachdem ich halbwegs satt war, ging ich noch ein oder zweimal zum Geldautomaten, beschloss dann aber Riva zu verlassen und am Fuße der Berge einen Schlafplatz zu suchen. Das Westufer im nördlichen Teil des Gardasees ist sehr steil, sodass die Hauptverkehrsstraße zwischen Riva und Limone überwiegend durch Tunnel führt. Zu Fuß kann und darf man nicht hindurchgehen. Kurz vor der Tunneleinfahrt zweigt jedoch die alte Verbindungsstraße ab. Sie führt in engen Windungen direkt an der steilen Wand der Berge entlang, ist heute für Autos gesperrt und für Biker und Wanderer ein beliebter Einstieg in die Berge.

Ein mit Maschendraht vor Steinschlag geschützter senkrechter Abhang. Blick von oben.
Viele Meter über dem Ufer des Gardasees

Dort ging ich also hinauf. Radfahrer und Wanderer kamen mir entgegen. Nach dem dritten kleinen Tunnel erreichte ich ein kleines altes Haus, welches mit dicken Drahtseilen an die Felswand gebunden war. Links neben dem vierten Tunneleingang zweigten eine schmale Betontreppe und ein kleiner Pfad von der Straße ab. Ich folgte dem Pfad mit seinen Windungen die Böschung hinauf, ging an alten Unterständen vorbei und erreichte nach fünf Minuten ein kleines Plateau, auf dem ein niedriger Bunker mit Schießscharten und Wassertank stand. An drei Seiten ging es senkrecht schätzungsweise 60-70 Meter hinab, weit unten sieht man das Ufer.

ein weiteres Plateau über einem See.
Hoch über dem Lago di Garda

In Deutschland wäre eine solche Stelle mit meterhohen Zäunen abgesichert, hier musste man selbst aufpassen. Schön. Ich hätte mit nur wenig Anlauf von hier oben in den Gardasee springen können. Mein Überlebenswille hielt mich von dieser fixen Idee ab.

Außerdem stand da ein Mann und schaute sich die ehemaligen Militäranlagen an. Er war mit dem Fahrrad unterwegs, welches er auf dem flachen Dach des Bunkers abgestellt hatte. Wir kamen ins Gespräch. Ich erzählte ihm von meinen finanziellen Schwierigkeiten und er gab mir eine kleine Tafel Schokolade aus seinem Proviant. Per Selbstauslöser machten wir noch ein Foto mit dem Gardasee im Hintergrund. Er wollte es mir zuschicken, wenn er wieder zu Hause wäre. Anscheinend macht er einen ziemlich langen Urlaub. Dann fuhr er ins Hotel und ich legte mich schlafen. Zum nächsten Kapitel.

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