11.09. Zweiter Tag. Trampen nach München.

Hier gehts zum Anfang des Tramper-Berichtes. Die Raststätte steckte noch im Tiefschlaf. Ein tankender Autofahrer schaute, vermutlich wegen meiner nassen Haare, etwas verwirrt zu mir herüber. Ich grinste ihn an, er sah schnell weg und verzog seinen Mund, ganz so, als sei es ihm peinlich. Ich musste fast lachen. Na ja.

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Ich ging auf das Tankstellenklo und betrachtete mich im Spiegel. Meine Haare hingen nass ins Gesicht und meine Augen säumten tiefe Ringe. Ich hielt den Kopf unter den Föhn, mit dem man sich die Hände trocknen kann und schüttelte einige Blätter aus den Haaren.

Motivationsloch

Dann ging ich in das Restaurant und trank einen Kaffee. Wenn ich ehrlich war, hatte ich keine Lust mehr. Die Motivation war weggespült. Sehnsüchtig dachte ich an meine Wohnung und daran, wie sorglos das Leben doch ist, wenn man weiß, dass man in der Nacht nicht nass wird. Ich war kurz davor zurück nach Siegen zu trampen.

Und so einer träumt vom Aussteigen? Kaum ist eine Nacht mal ungemütlicher als gewohnt, bekommt der Muffensausen und will nach Hause. Wie wenig ich doch gewohnt war! Das wurde mir jetzt erst bewusst. Ich dachte daran, wie andere viel größere Leistungen vollbracht hatten, indem sie zum Beispiel allein im Himalaya dem eisigen Wetter trotzten. Dagegen war mein kleines Abenteuerchen wie ein All-inclusive-Urlaub. Es ist alles reine Kopfsache. Ich beschloss meine Reise fortzusetzen.

Warten auf eine Mitfahrgelegenheit

Nachdem ich den Kaffee getrunken hatte, ging ich wieder in das neblige Draußen. Eigentlich wollte ich schnell weiter. Doch die wenigen Menschen, die hier hielten, hatten entweder keinen Platz mehr im Auto, oder fuhren angeblich an der nächsten Ausfahrt ab. Sechs Stunden lang fragte ich die Leute vergeblich. Alle zwei Stunden machte ich eine Kaffeepause.

Ich beobachtete die Menschen. Häufig hielten ältere Ehepaare und ließen winzige Hunde an langen Leinen „Bächlein machen“. Bevor die Hündchen wieder ins glänzend polierte Auto durften, mussten sie gründlich vom Dreck der Zivilisation befreit werden. Im „Burger King“ hingen ganze Trauben von kleinen Jungs und Mädels erwartungsvoll hüpfend an den Hemdzipfeln ihrer Papas, die mit gönnerhaften „Heute seid ihr mit mir weg, da dürft ihr alles“ Blicken geschiedener Väter ein Maxi Menü nach dem anderen bestellten.

Generell sind Raststätten ziemlich ungemütliche Orte. Die Inneneinrichtung der Restaurants ist auf schnelle, kostengünstige Reinigung ausgelegt, meist wird mit hässlichen Plastikpflanzen und grauenvollen Dekorationsgegenständen ein hilfloser Bezug zu Region versucht. Kein Ort an dem man mehr Zeit als nötig verbringen möchte.

Tramperglück

Gegen halb zwei, ich stand gerade an der Tankstelle, fiel mir ein kleiner weißer Kastenwagen auf, dessen Fahrer das Restaurant ansteuerte. Er war allein. „Den schnapp ich mir“, dachte ich und ging zügig zu dem parkenden Auto. Der Besitzer war schon im Restaurant und ich lungerte, den Wagen nicht aus den Augen lassend, zwanzig Minuten in der Nähe herum. Dann war seine Pause beendet. Der Mann kam zurück. „Wohin des Wegs?“, fragte ich. Er musterte mich kurz und sagte dann, dass er nach Stuttgart führe. An der letzten Raststätte „Sindelfingen“ stieg ich aus.

Es war schon halb vier. Es regnete. Nach einem Kaffee traf ich einen anderen Tramper, heute Morgen in Straßburg gestartet, war er auf dem Weg nach Leipzig. Eine Zugfahrkarte konnte er sich nicht leisten. Unsere Aussichten waren trübe. Wer hat schon Lust an einem verregneten Sonntagnachmittag einen müden Tramper mitzunehmen? Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Suchte mit den Augen die Umgebung nach einem überdachten Hochsitz oder einem verlassenen Schuppen ab.

Das Wetter wurde immer schlimmer. Nur zufällig fragte ich einen jungen Menschen, nur zufällig fuhr er über Augsburg und wollte mich auch mitnehmen. Er war Franzose, arbeitete in Ingolstadt bei Audi. Wir unterhielten uns über deutsche und französische Rockmusik, und den besseren Geschmack der französischen Autodesigner. Die Landschaft wurde von schwerem Regen heimgesucht. Immer wieder schien das Auto zu schwimmen.

Ein Platz für die Nacht?

Irgendwann gegen halb sechs stand ich vor Augsburg an der Raststätte. Der Himmel war fast wolkenlos, doch nach den gestrigen Erfahrungen traute ich dem Frieden nicht. Ich ging an der Tankstelle vorbei und setzte mich auf die unteren Stufen der breiten Treppe, die zum Restaurant führt. Ein süßes Mädchen sah mich und meine Ausrüstung, wir lächelten uns an. Dann war sie weg und ich kaufte mir eine Tafel Schokolade. In der Nähe der Raststätte hatte ich einen überdachten Hochsitz gesehen. Auf dem Weg dorthin ging ich an einem erst kürzlich von einem Blitz getroffenen Baum vorbei.

Der Hochsitz neben der Autobahn. Er ist aus Holz und eine Rankpflanze, vielleicht Knöterich wuchert an einer Strebe auf das Dach. Im Hintergrund sieht man die Autobahn.
Ein Hochsitz mit Sicht auf die A8.

Ich zog meinen Schlafsack aus seiner Hülle. Er war natürlich noch ebenso nass wie am Morgen. Dann hörte ich mit meinem kleinen Taschenradio den Wetterbericht. Es sollte wieder ein Gewitter geben. Ich sah aus dem Hochsitz, betrachtete den zerrissenen Baum neben mir und mir wurde unbehaglich bei dem Gedanken an die kommende Nacht.

Er stand direkt am Waldrand. Zweihundert Meter vor mir rauschte unaufhörlich die Autobahn. Kein guter Ort. Hier wollte ich nicht bleiben. In München könnte ich bei einem Verwandten übernachten. Nur kurz war ich hin- und hergerissen zwischen der anstrengenden aber erlebnisreichen Übernachtung im Hochsitz und der Aussicht auf ein warmes Bett.

Weiterreise nach München

Der nasse Schlafsack im Hochsitz. Zu sehen ist das gelbe Innenfutter des Schlafsackes, der bis -10° C noch gut vor der klirrenden Kälte schützt. Daneben, an dem Wanderrucksack befestigt, eine doppelwandige Edelstahltasse.
Ich hatte schon den Schlafsack ausgepackt, er war allerdings noch nass.

Es siegte die Bequemlichkeit. Also ging ich zurück zur Raststätte. Es wurde schnell dunkel. Eine Stunde stand ich an der Tankstelle. Dann nahmen mich Ralf und Svenja mit. Ich war vom langen Warten todmüde, Svenja legte Eros Ramazotti auf und ich verbrachte die letzten Kilometer bis München im Halbschlaf mit genüsslicher Gewissheit heute Nacht trocken zu bleiben.

In München ließen mich die beiden an der U-Bahn am Olympiazentrum raus und ich fuhr mit der U3 bis Fürstenried zu meinem Großonkel. Seine herzliche Begrüßung war für mich eine Wohltat. Ich hatte großen Hunger, aber nur wenig Appetit. Wir stiegen auf Bier um und unterhielten uns über Bayern und die CSU. Dann war ich betrunken und schlief im gemütlichsten Gästebett der Welt.

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