Formelle und informelle Organisation

In den letzten zwei Wochen habe ich mich im Rahmen meiner Ausbildung mit „Hierarchie und Macht“ auseinandersetzen müssen (Deswegen gab es auch so lange keine neuen Einträge). Der von mir erarbeitete Teilbereich „Begriffserklärung von formeller Hierarchie, formeller Macht und objektiver Autorität, sowie des jeweiligen informellen Pendants.“ ist nach und nach zu einer kritischen Hinterfragung der Notwendigkeit von formeller Organisation eines Betriebes ausgeartet. Zunächst aber eine Erklärung der Begriffe:

Formelle Organisation:

Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder (z.B. Mitglieder) beruhen auf einem von außen (z.B. der Unternehmensleitung) geschaffenen System von Anordnungen und Regeln. (Stellenplan) Regeln und Verhaltensweisen eine Struktur, die informelles Gruppenverhalten in gewisse Bahnen lenken soll

Formelle Hierarchie:

Formelle (oder auch formale) Hierarchie soll dem Überleben einer Institution dienlich sein bzw. die Funktionalität einer Gruppe/Gesellschaft gewährleisten.

Objektive Autorität:

Bestimmt, in welchem Grad eine Person innerhalb der Gruppe (Betrieb etc.) formelle Macht besitzt. Meist wird dies durch Fachwissen und/oder Zugehörigkeitszeit bestimmt (z.B. Firmengründer).

Formelle Macht:

Hat – eng verknüpft mit formeller Hierarchie und objektiver Autorität – derjenige, der „Kraft seines Amtes“ also mit offizieller Befugnis „Befehlsgewalt“ z.B. über Mitarbeiter seiner Firma besitzt. (nur innerhalb dieser Firma und auch nur so weit, wie es sein Amt erlaubt, Vorgesetzte können z.B. natürlich nicht über die Essgewohnheiten eines Mitarbeiters verfügen)

Informelle Organisation:

Entsteht natürlicherweise in jeder sozialen Gruppe durch die Bedürfnisse des einzelnen nach Anerkennung (Lob), Freundschaft und Kontakt zu anderen Menschen.

Informelle Hierarchie:

Kann man als individuelles Rangstreben definieren. Sie entsteht durch knappe Ressourcen Konkurrenz Rangordnungskämpfe

Subjektive Autorität:

Subjektive Autorität besitzt derjenige, der durch seine Charaktereigenschaften, z.B. Gerechtigkeitssinn, durch Fachwissen und Fachkönnen und informeller Macht von den anderen Mitgliedern der Gruppe anerkannt wird.

Informelle Macht:

Ist eng verbunden mit informeller Autorität. Wer also von anderen aufgrund seiner Fähigkeiten als Autoritätsperson angesehen wird, „zu ihm aufschauen“ sich nach ihm richten und seine Ideen, Vorstellungen etc. übernehmen, der besitzt in dieser Gruppe informelle Macht.

Merkmale einer formellen Organisation:

  • Anerkennung durch Fachkompetenzen möglich
  • Aufstieg auch ohne Fachkompetenzen möglich (Vetternwirtschaft)
  • Struktur ist von Anfang an klar und geordnet, später hinzustoßende neue Mitglieder erkennen schnell die Gruppenstruktur
  • Es könnte, durch unvermeidliche informelle Einflüsse, die Macht und Autoritätsverteilung nicht akzeptiert werden. (Konflikte!)
  • Einzelne Mitglieder steigen in der Hierarchie eher auf als ab, wer oben ist, hat meist die Macht seine Stellung zu behalten, auch wenn z.B. Fachwissen veraltet ist. (Verhindert intuitive und kreative Ideen!)
  • Auszubildende und nicht „betriebsblinde“ neue Mitarbeiter haben bei zu starker objektiver Autorität Hemmungen Verbesserungsvorschläge anzusprechen

Merkmale einer informellen Organisation:

  • Anerkennung durch Fachkompetenzen möglich
  • Anerkennung ohne Fachkompetenzen oder sozialen Fähigkeiten (z.B. Gerechtigkeitssinn, Führungsfähigkeiten) nicht möglich
  • Struktur muss sich erst bilden, für neue Mitglieder nicht direkt ersichtlich. Bzw. neue Mitglieder verändern die Verhältnisse.
  • Es besteht nach „Storming“ Phase überwiegend einhellige Meinung bezüglich der Gruppenhierarchie
  • Einzelne Mitglieder haben keinen direkten Einfluss auf ihre Stellung in der Gruppe, sie wird bestimmt durch die Anerkennung des Einzelnen durch die Gruppe. Auf- und Abstieg sind möglich, ggf. auch bereichsspezifisch.

Diese Gegenüberstellung ist nicht ganz korrekt, da man die informelle Organisation niemals „ausschalten“ kann. Vielmehr führt dieses „Nebeneinander“ sozusagen zu einem „Subsystem“ innerhalb der formellen Organisation. Dadurch können natürlich Konflikte entstehen.

So hat in der Praxis z.B. die Krankenpflegekraft mit 20-jähriger Berufserfahrung womöglich ein wesentlich größeres Fachwissen als ein junger Arzt, der gerade sein Studium beendet hat. In der informellen Hierarchie wird er sich also zunächst unter der Position, welche besagte Pflegekraft innehat, befinden, doch ist er kraft seines Amtes als Arzt mit größerer formeller Macht und objektiver Autorität ausgestattet. Üblicherweise wird er sich bei Unsicherheiten selbstverständlich an die Pflegekraft, oder erfahrenere Ärzte wenden. Doch wenn er dies aus Stolz oder Scham unterlässt, können ihm schwerwiegende Fehler unterlaufen.

Im umgekehrten, sicherlich eher seltenen Beispiel hat ein alteingesessener Chefarzt zwar einen riesigen Erfahrungsschatz, sein Fachwissen ist jedoch veraltet. Wenn nun ein junger aufstrebender Arzt neue Erkenntnisse in der Klinik umsetzen möchte, kann es passieren, dass dies der Chefarzt aus Angst vor einem Konkurrenten zu verhindern sucht. Er versucht also seine formelle Position zu verteidigen, obwohl der junge Arzt mit seinem aktuelleren Fachwissen mit der Zeit womöglich eine größere objektive Autorität erlangt. Dies verhindert, dass in einer Klinik nicht nach neusten Erkenntnissen geheilt wird.

Engere Beziehungen einzelner Personen verschiedener formell hierarchischer Schichten rufen bei den Kollegen Neid und Missgunst hervor, da sie Bevorteilung vermuten („Die hat sich hoch geschlafen“). In einer rein informellen Organisation würden solche Beziehungen in einer Höherwertung der weniger angesehenen oder eine „Degradierung“ der zuvor höhergestellten Person bewirken. In der starren formellen Organisation ist dies natürlich nicht so einfach möglich, was die beschriebenen Reaktionen hervorruft. Generell fördert informelle Organisation innerhalb eines formalen Systems die Unzufriedenheit des Personals. Informell wird einem Vorgesetzten gerne Unfähigkeit nachgesagt, formell muss ihm aber nach wie vor Respekt gezollt und sich an die „standesgemäßen“ (Verhaltens) Regeln gehalten werden.

In einer Gruppe ohne formelle Strukturen würde in diesem Fall der Vorgesetzte an subjektiver Autorität verlieren, seine Stellung innerhalb der informellen Hierarchie würde sinken und einer der Nörgler müsste seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Wenn sich dann herausstellt, dass der Neue wirklich besser geeignet ist, ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter größer und der Wechsel berechtigt, wenn nicht, kommt vielleicht der frühere „Gruppenführer“ wieder in seine alte Rolle.

Die Zufriedenheit stiege aber wahrscheinlich trotzdem, weil der Vorgesetzte nun seiner hierarchischen Stellung bewiesenermaßen gerecht wird und die Mitarbeiter gemerkt haben, dass sie zu Unrecht an ihm zweifelten. Vielleicht ist es aber auch so, dass Mitarbeiter gerne über ihre Vorgesetzten lästern, dass formelle Organisation neben ihrer Ordnung schaffenden Eigenschaften auch darin Berechtigung findet Mitarbeitern Grund zu Gerüchten zu geben. Dieses Bedürfnis bietet ein Krankenhaus seinen Mitarbeitern nämlich im Überfluss.

5 Gedanken zu „Formelle und informelle Organisation“

  1. Eine gute Analyse gesellschaftlicher Mechanismen und häufig unbewusster psychischer Abläufe beim sog. Homo sapiens. Ich selbst beabsichtige die Gründung einer informellen Kommune in Nicaragua 2005/6 – am Lago Nicaragua, nahe Granada – und InteressentINNEN können sich gern bei uns melden. Es gibt keinen Guru, nur lebenserfahrene AnarchistINNEN, die jedoch keine Bomben bauen und mit dem gesellschaftlichen Vorurteil gegenüber der anarchischen Freiheitsliebe und die Ablehnung gesellschaftlicher Hierarchien nichts zu tun hat.
    VENCEREMOS
    Frank-Reginald Evertz=FReE

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